
Stress im Lockdown und Antworten darauf aus chiropraktischer Sicht
„Mein Arbeitspensum hat sich in den letzten paar Monaten verdoppelt. Das in Kombination mit Teams-Besprechungen (oder -Anrufen) den ganzen Tag lang, ich bin die ganze Zeit müde (…).“
Kennen Sie das? So äußerten sich einige der 96 Mitarbeitenden an der Universität Twente im niederländischen Enschede im Rahmen einer Studie. Die Veränderungen in ihren täglichen Arbeitsabläufen erlebten sie dabei als belastend und berichteten, dass sie die Arbeit zu Hause nicht bevorzugen würden. Viele Teilnehmende gaben an, dass sie mehr Stress empfinden, wenn sie alles online erledigen müssen. Folglich sank ihr Energieniveau und jede Aufgabe oder Arbeit, die sie erledigen mussten, führte dazu, dass sie sich zusätzlich gestresst fühlten. (1)
Ein Trend, der für 2020 auch in Deutschland gezeigt werden konnte: Fehlzeiten aufgrund von Anpassungsstörungen nahmen um 8 Prozent zu. Psychische Erkrankungen, zu denen diese Diagnose gehört, erreichten einen neuen Höchststand. Das geht aus der aktuellen Krankenstands-Analyse der DAK-Gesundheit für das gesamte Jahr 2020 hervor. Laut Analyse hat die Pandemie das Krankheitsgeschehen in der Arbeitswelt massiv verändert: Krankschreibungen dauerten im Vergleich zum Vorjahr durchschnittlich 14,5 Prozent länger. Die Daten stammen von rund 2,4 Millionen erwerbstätigen Versicherten. (2)
Wenn unser Organismus überlastet auf eine neue und veränderte Umwelt reagiert, ist er mit der Selbstregulierung überfordert. Genau das steckt hinter der Diagnose Anpassungsstörung. Ob zunächst nur Erschöpfung oder gar depressive Phasen, Angst- oder Zwangsstörungen – sie alle sind Ausdruck eines Ungleichgewichts. Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht jeder Stress negativ ist. Wenn er nur für eine kurze Zeit auftritt und wir uns effizient von dem stressigen Ereignis erholen, können wir durch das stressige Ereignis gestärkt werden. Wenn Stress jedoch länger andauert, chronisch wird und unser Körper sich nicht davon erholt, können Symptome die Überforderung aufzeigen. Unbearbeitet verstärken sich diese häufig im Laufe der Zeit. Dabei bleiben sie in der Regel zunächst subtil, sodass wir kaum merken, was sich unter der Oberfläche aufgebaut hat. Bis zu dem Punkt, an dem ein Gefühl oder Leid uns regelrecht zur Bewältigung drängt. Wie kommt es dazu? Dazu liefert uns die Verarbeitung von Erfahrungen durch Gefühle ein klareres Bild.
Wie wir urteilen, bestimmt unser Gefühl
Der Neurowissenschaftler Antonio Damasio beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit zentralen Fragen der Bewusstseinsbildung und Verarbeitungsweisen unseres Nervensystems. Dazu untersuchte er vorrangig Patient*innen mit Hirnverletzungen, deren Auffälligkeiten auch Rückschlüsse auf die unbeeinträchtigte Funktionsweise erlauben. Aus seiner Forschung heraus entwickelte er drei Prämissen:
- Die Vernunft hängt von unserer Fähigkeit ab, Gefühle zu empfinden,
- Empfindungen sind Wahrnehmungen der Körperlandschaft, und
- der Körper ist das Bezugssystem aller neuronalen Prozesse.
Gefühle sind in diesem Verständnis entscheidungsvorbereitende Filter: Ist das ein Fleck oder eine Spinne? Spontane Wahrnehmungen aus dem Augenwinkel führen so beispielsweise zu genauerem Hinschauen. Auf diese Weise lenken Gefühle Wahrnehmungen und Handlungen bis hin zu scheinbar ganz rationalen Entscheidungen. Erfolgreich nutzen wir das, wenn wir auf unser „Bauchgefühl“ hören, eine Idee aufblitzt etc. Es zeigt sich auch ungewollt aufgrund der engen Verzahnung zu Körperprozessen, z.B. beim Erröten.
Als Kombinationen von chemischen und neuralen Reaktionen des Gehirns ist der zentrale biologische Zweck von Gefühlen, günstige Umstände für das Überleben des Organismus zu schaffen. Sie sind zum Teil angeborene Gehirnfunktionen, aber auch durch Erleben geprägte Erfahrungen, die an körperliche Wahrnehmungen geknüpft sind.
Unser Körper nimmt über die verschiedensten Sinne (Fühlen, Riechen, Sehen, Hören, Tasten etc.) Außeneindrücke wahr. So lösen sie eine emotionale Verarbeitung aus und regeln darüber unsere Beurteilung, ob eine Situation angenehm oder unangenehm ist. Hier zeigt sich ein möglicher Schlüssel zum Durchbrechen der negativen Spirale, wie sie u.a. die Mitarbeitenden der Universität Twente bezüglich der Stresswahrnehmung äußerten.
Stressreduktion in der Chiropraktik
Die Einflussnahme auf Urteilsmuster und Gefühle über Körperarbeit ist ein therapeutisch umfassend erforschtes Feld. Neurowissenschaften haben mit über 40 Jahren Forschung in umfangreichen Studien nachgewiesen, dass mit der richtigen Unterstützung auch die weitestgehend unbewusste Fähigkeit, Balance zwischen Be- und Entlastung herzustellen, optimiert werden kann. Auf dieser Basis forschen auch chiropraktische Studien seit Jahren. Sie belegen per EEG-Messung Ausgangswerte von Patient*innen und deren Verbesserungen nach Justierungen. Es zeichnen sich in den Ergebnissen deutliche Hinweise ab, dass chiropraktische Behandlungen effektiv sind, da sie neurologische Reaktionen durch gezielte sensorische Stimulation verändern können. Sprich: Auf Justierungen reagiert das zentrale Nervensystem. Die große Menge an Sensor-Rezeptoren in und um die Wirbelsäule herum bietet dafür einen guten Zugangsbereich, durch den Chiropraktiker*innen die Möglichkeit haben, ein ungesundes Muster zu unterbrechen und so die Grundlage für ein neues, gesünderes Muster legen zu können. (4)
Resümee
Es ist erwiesen, dass Stress das Nervensystem stört. Er stört unseren Körper auf physischer, biochemischer, mentaler und emotionaler Ebene. Das kann sich auf jeden Aspekt unseres Lebens auswirken. Besonders jetzt, wo wir eine unerwartete und anhaltende Veränderung durchmachen, auf die wir wenig Einfluss haben. Gleichwohl können wir unseren Umgang damit anpassen. Der Lockdown bietet auch eine Gelegenheit, den Stress in unserem Leben zu betrachten. Dann können wir neu bewerten, was wichtig ist, und Änderungen vornehmen, um unseren Stress auf effektivere Weise zu bewältigen. So bauen wir idealerweise psychische Widerstandskraft und positive Routinen auf. Regelmäßige Justierungen unterstützen die einzelne Person dabei ganz individuell.
Veröffentlicht: März 2021
Quellen (zuletzt abgerufen am 4.03.2021):
1 http://essay.utwente.nl/85586/1/Tzaneti_BA_Faculty%20of%20Behavioural%2C%20Management%20and%20Social%20Sciences.pdf
2 https://www.dak.de/dak/bundesthemen/krankenstand-2020-2424242.html#/
3 Quelle: Antonio Damasio: Descartes‘ Irrtum: Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn
4 https://dagc.de/stress-chiropraktik/