
Glück und Zufriedenheit aus neurobiologischer und chiropraktischer Sicht
Neurobiologische Erkenntnisse und chiropraktische Perspektiven zu der zentralen Frage des Wohlbefindens: Wie viel Einfluss haben Menschen darauf, glücklich zu sein?
Zum Einstieg mal ein kleiner Test: Wie viele Beiträge haben auf Instagram entweder die Auszeichnung #glücklich oder #glück? Die Antwort: 7,7 Millionen (Stand Januar 2022). Und das in einer Zeit, in der Krankenkassen mit 265 Fehltagen je 100 Versicherte einen neuen Höchststand an Ausfalltagen wegen psychischer Erkrankungen verzeichnen. Depressionen waren dabei die wichtigste Ursache für Krankschreibungen. Das geht aus dem Psychreport der DAK-Gesundheit von 2021 hervor.1 Wie passt das zusammen?
Laut Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth vom Institut für Hirnforschung der Universität Bremen ist „Glück ein subjektives Gefühl, aber neurobiologisch recht gut erfassbar.“ Fachlich herrscht dabei weitestgehend Einigkeit, dass zwischen Glücksgefühlen und Lebensglück, zum Beispiel als Ausdruck von Zufriedenheit, unterschieden werden kann.2
Glücksgefühle seien situative Belohnungsmomente, die durch Botenstoffe wie Serotonin, Dopamin, Noradrenalin, Endorphine, Phenethylamin und Oxytocin ausgelöst werden. So wird in individuellen Schwankungen ein Moment der Hochstimmung erzeugt, der uns glücklich sein lässt, und der wieder vergeht. Zur Veranschaulichung einer extremen Form nennt Prof. Roth die „Sensation Seeker“. Von ihrer psychischen Grundkonstitution her seien sie eher tief unzufrieden oder gar depressiv. Zum Ausgleich suchen sie intensiv nach starken Gefühlen sowie extremen Erlebnissen. Riskantes Verhalten oder Extremsportarten liefern dafür kurzfristige Glückskicks.
„Bei der Zufriedenheit sieht es dagegen anders aus, sie ist nicht an die zeitlich begrenzte Ausschüttung von Botenstoffe gebunden,“ betont PD Dr. med. Burkhard Pleger in einem Interview. Er lehrt an der Medizinischen Fakultät der Ruhr Universität Bochum im Fachbereich Neuronale Plastizität. „Die gute Nachricht vorweg: Ein Mensch kann zu jedem Zeitpunkt etwas Neues lernen. Und da Zufriedenheit kognitiv wahrgenommen wird, ist es auch möglich, sie immer zu einem gewissen Maße zu erlernen.“ 3
Was bestimmt mein Glücksempfinden?
Forschungsergebnisse im Bereich der positiven Psychologie definierten das Glück der Menschen zu 50 Prozent durch ihre Gene bestimmt, zu 10 Prozent durch ihre Lebensumstände und zu 40 Prozent durch „absichtliche Aktivitäten“ (vor allem, ob man positiv eingestellt ist oder nicht). So einfach ist das aber wohl nicht, denn die jahrzehntelang durchführten Studien beobachteten speziell Zwillingspaare.
Die Verhaltensgenetiker gingen dabei davon aus, dass eineiige und zweieiige Zwillinge, wenn sie zusammen aufwachsen, dieselbe Umgebung erleben. Individuelle Erlebnisse in der Schule, bei den Eltern oder Freunden – all das wurde laut Jonata Burke, Royal College of Surgoen in Irland, ignoriert. Sie betont, dass genetische Natur und Umfeld nicht unabhängig voneinander wirken. Die Erforschung der Struktur und Funktion von Genen auf molekularer Ebene zeige, dass sie sich ständig gegenseitig beeinflussen. Aus diesem Grund können zwei Menschen, die in der gleichen Umgebung aufgewachsen sind, unterschiedlich darauf reagieren.
Ebenso verändert die Umwelt die Genexpression. Wenn zum Beispiel werdende Mütter einer Hungersnot ausgesetzt waren, veränderten sich die Gene ihrer Babys entsprechend. Das wiederum führte zu chemischen Veränderungen, die die Produktion eines Wachstumsfaktors unterdrückten, sodass die Babys kleiner als gewöhnlich und mit Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen geboren wurden. (s. dazu auch: https://dagc.de/ungestoerte-entwicklung-im-fokus/)
Ob Menschen glücklicher werden können oder nicht, hängt auch von ihrer „Umweltsensibilität“ ab – ihrer Fähigkeit, sich zu verändern. Manche Menschen sind empfänglich für ihre Umwelt und können daher ihre Gedanken, Gefühle und ihr Verhalten als Reaktion auf negative und positive Ereignisse deutlich verändern. Es gibt jedoch keine eindeutige Intervention, die bei allen Menschen funktioniert, denn wir sind so einzigartig wie unsere DNA und haben daher unterschiedliche Kapazitäten für Wohlbefinden und dessen Schwankungen im Laufe des Lebens. Manche Menschen haben vielleicht etwas mehr Mühe als andere, ihr Wohlbefinden zu steigern, und diese Mühe kann bedeuten, dass sie über längere Zeiträume unglücklich sind. Und in extremen Fällen erleben sie vielleicht nie ein hohes Maß an Glück. Andere hingegen, die über eine größere genetische Plastizität verfügen, d.h. die sensibler auf die Umwelt reagieren und daher eine größere Fähigkeit zur Veränderung haben, können ihr Wohlbefinden steigern und vielleicht sogar gedeihen, wenn sie einen gesunden Lebensstil annehmen und sich für ein Umfeld entscheiden, das ihr Glück und ihre Fähigkeit zur Entwicklung fördert.4
Chiropraktisch Tätige setzen für mehr Wohlbefinden bei ihren Patient*innen grundsätzlich auf mehreren Ebenen an: gesundes Verhalten, Umwelteinflüsse und Justierung (s. dazu auch: https://dagc.de/blick-auf-die-entwicklung-der-amerikanischen-chiropraktik/). So können chiropraktische Justierungen nach aktuellen Studien einen positiven Einfluss auf die Neuroplastizität – also Veränderbarkeit und Lernfähigkeit des Gehirns – haben.5 Auf diese Weise leisten sie auch einen Beitrag, um die eigene Zufriedenheit als Basis für Lebensglück gezielt anzugehen. Und dann kann im Sinne der Dankbarkeit für erfahrenes Glück und der Arbeit daran, der Hashtag #glück beim Insta-Posting nach dem Besuch bei dem/der eigenen Chiropraktiker*in doch auch mal eingesetzt werden, oder?
Quellen (zuletzt abgerufen am 28.01.2022):
1 https://www.dak.de/dak/bundesthemen/psychreport-2429400.html#/
2 https://www.dasgehirn.info/aktuell/frage-an-das-gehirn/was-passiert-im-gehirn-wenn-wir-gluecklich-sind
3 https://www.humansarehappy.org/post/gl%C3%BCck-im-gehirn
4 https://theconversation.com/why-some-people-find-it-harder-to-be-happy-171692
5 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7288271/